Alternativen für Japan

Die Energie- und Klimawochenschau: Nach der Katastrophe muss ein energiepolitisches Umdenken in Japan erfolgen - das Land bietet hervorragende Bedingungen für die Nutzung der Erneuerbaren Energien

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Die Kernschmelze in Japan zeigt, dass nicht erst dicke Stahlbetonhüllen geknackt werden müssen, sondern, dass ein Stromausfall genügt, damit das "minimale Restrisiko" der Kernkraft Realität wird. Die japanische Politik setzte in den letzten Jahrzehnten immer mehr auf die Atomkarte in einer Art Symbiose mit drei großen Technologiekonzernen und einer zweifelhaften Betreibergesellschaft. Dabei war Japan in Sachen Energieeffizienzprogramme und auch bei der Nutzung der Erneuerbaren Energien in der Vergangenheit teilweise führend. Doch die Verengung des Blicks auf die Stromversorgung per Kernspaltung führte dazu, dass die Erneuerbaren heute nur noch 3,4% zur japanischen Energieversorgung beitragen – in einem Land das eigentlich hervorragende Bedingungen für die Nutzung der Wasserkraft, der Windkraft, der Solarenergie und der Tiefengeothermie aufweist.

Alles nur auf eine Karte gesetzt

Fukushima I, Fukushima II und Tokai sind nur drei von insgesamt 54 Reaktoren im Land (zum Vergleich: in Deutschland sind 17 in Betrieb). Diese 54 Reaktoren sorgten für 30% des Strombedarfes in Japan. Umgerechnet auf den gesamten Energieverbrauch des Landes sind das nur rund 8% des Energieverbrauchs.

Dieser geringe Beitrag zur Energieversorgung wurde teuer erkauft. Der Ölpreisschock von 1973 hat eine große Rolle gespielt, dass Japan ursprünglich auf Atomkurs ging. Damals hatte das Land erst fünf Kernkraftwerke, über 60% des Stroms wurden aus Erdöl gewonnen und auch heute erzeugt Japan noch Strom mit Öl. Aus Angst vor einem erneuten Zudrehen des Ölhahns bekam der Kernkraftausbau in Japan nationale Priorität. Eine Entscheidung, die nie wieder revidiert wurde, statt dessen führten die verkrusteten Strukturen in der Politik zu einer Art Tunnelblick.

Das hängt sicher auch mit der langen Regierungszeit der Liberaldemokratischen Partei (LDP) zusammen, die seit ihrer Gründung 1955 bis 2009 fast ununterbrochen dauerregierte und festgefahrende Strukturen und Fehlentwicklungen zementierte. Bis zur Katastrophe gab es ehrgeizige Ausbaupläne. Am Ende des Jahrzehnts sollten 40 Prozent der Stromversorgung aus der Kernenergie kommen.

Zusätzlich vermochten die Kernkraftbefürworter der Politik vorzugaukeln, das Perpetuum Mobile sei machbar und zwar als eine Art atomare Kreislaufwirtschaft nach dem Wunschbild unendlicher Energieversorgung - per Kernenenergie und Brutreaktor. Als einziges Land der Welt setzte Japan deshalb auf den schnellen Brüter und nimmt dabei das anfallende Plutonium und alle zusätzlichen Risiken mit in Kauf. Das entsprechende Brüterkraftwerk in Monjo, im Süden des Landes, wurde 1994 zwar in Betrieb genommen, funktionierte aber von Anfang an nicht und musste nach nur einem Jahr für die nächsten 15 Jahre abgeschaltet werden.

Ein weiterer Grund für den Ausbau der Kernkraftwerke ist die eigene Großindustrie. Es gibt drei große Atomkonzerne Hitachi, Mitsubishi Heavy Industries und Toshiba, sie bieten Atomkraftwerke und Komponenten an, sind im internationalen Atomgeschäft gut vertreten und möchten auch Vorzeigeprojekte im eigenen Land vorweisen.

Eine andere Energiepolitik ist nötig

Beim Klimagipfel in Cancún drängte die japanische Regierung, zusammen mit Russland und Kanada noch auf ein Auslaufen der Kyoto-Verpflichtungen nach 2012. Auch verschenkte die japanische Politik die einstige Technologieführerschaft des Landes bei den erneuerbaren Energien mehrfach zugunsten einer rückwärtsgewandten und ziellosen Wirtschaftspolitik.

Die Einführung einer EEG ähnlichen, verpflichtenden Abnahme von regenerativ erzeugtem Strom wurde nie gegen das Veto der zehn als Gebietsmonopole agierenden Netzbetreiber eingeführt. Und auch im Rahmen des Renewable Portfolio-Standards (RPS) mussten Japans Energieversorger bisher nur nachweisen, dass sie lächerliche 1,35 Prozent ihrer Energie aus erneuerbaren Quellen gewinnen. Seit den 1960er Jahren fiel der Anteil der Erneuerbaren an der japanischen Stromversorgung so von 50% auf heute nur noch 9,6% (davon Wasserkraft 75,3%, Biomasse aus Abfällen 16,2%, Windkraft 3,4%, Geothermie 2,9%, Photovoltaik 2,3%). Nach Angaben der internationalen Energieagentur lag der Anteil der erneuerbaren Energien am Primärenergieverbrauch in Japan 2009 bei nur noch 3,4 Prozent.

In Japan herrscht ganz und gar kein Mangel an (erneuerbaren) Energieträgern, die den 30%-Anteil der Kernkraft an der japanischen Stromerzeugung übernehmen können, denn:

  • Japan ist vom Meer umgeben, das Windangebot ist sehr hoch
  • Japan ist ein Land der Berge, das Wasserkraftpotential ist hoch
  • Japan hat eine viel höhere solare Einstrahlung als Mitteleuropa
  • Japan hat großes Geothermiepotential

Außerdem hat Japan seit Ende der 90er Jahre das beste Effizienzprogramm zur Minderung des Energieverbrauchs technischer Geräte, das Top Runner Programm. Es funktioniert so, dass zu einem bestimmten Stichtag eine Marktübersicht erstellt wird. Der Verbrauch der effizientesten unter den gesichteten Geräten wird dann zum Standard für die Branche erhoben, der zu einem bestimmten Zeitpunkt (5-7 Jahre) erreicht werden muss. Erfüllt ein Hersteller nach Ablauf der Frist die neuen Effizienzstandards nicht, dann drohen ihm Strafzahlungen und Verkaufsverbot.

Hochgerechnet soll allein dieses Gesetz bereits in seiner jetzigen Form so wirksam gewesen sein, dass es 16% zur Reduktion von Treibhausgasen nach dem Kyoto-Protokoll brachte. Das Forschungsprojekt "Energy Rich Japan" des Wuppertal-Institutes und des japanischen Institute for Sustainable Energy Policies (ISEP) entwickelte bereits 2003 ein Szenario für die solare Vollversorgung Japans und beziffert die Wirksamkeit des Top-Runner Konzept bei konsequenter Anwendung auf drei Mal so hoch.

Nutzen statt abwürgen - Überfluss an erneuerbaren Energieträgern in Japan

  • Solar: Japan hat eine um im Mittel um 22% höhere Solarstrahlung als Mitteleuropa. Bis 2005 hatte Japan ein Solardachprogramm, das den Absatz von Photovoltaikanlagen förderte. Bei der Produktion von Solarzellen waren daher Japans Hersteller bis 2006 weltweit führend und es wurden fast 40% der weltweiten Solarzellen von japanischen Produzenten hergestellt. Mit Sharp, Kyocera und Sanyo Electric kamen drei der zehn weltweit führenden Solarzellen-Hersteller aus Japan. Das Auslaufen der Förderung von Photovoltaikanlagen auf Privathäusern führte zu einem innerjapanischen Absatzeinbruch.
  • Wind: Als es 2007 eine großangelegte Reform der Baugesetze gab, wurden auch die Vorschriften für Windkraftanlagen geändert. Seitdem gelten Windräder mit mehr als 60m Höhe als "Gebäude" und müssen entsprechende Genehmigungsverfahren durchlaufen. Dauerte vorher die Baugenehmigung für ein Windrad 1–2 Monate, so ist heute mindestens doppelt so viel Zeit erforderlich. Insgesamt kann es in einigen Region des Landes laut JWPA bis zu fünf Jahre dauern, bis ein Projekt genehmigt und in Betrieb genommen wurde. Schon kurz nach der Einführung des Gesetzes kam es aufgrund von weiteren Planungsfehlern bei den Behörden zu besonders vielen Verzögerungen, die die installierte Windkraftleistung im Vergleich zum Vorjahr um die Hälfte einbrechen ließen. In den achtziger Jahren war Japan noch ein Pionier in der Entwicklung und Anwendung von Windkraftanlagen. Mitsubishi Heavy Industries (MHI) war damals Weltmarktführer. Japan ist heute weltweit nur noch an dreizehnter Stelle der installierten WKA-Nennleistung.
  • Geothermie: Die Lage Japans an der Kreuzung von vier tektonischen Platten ist einerseits Ursache für Erdbeben und Vulkanausbrüche. Die Lage am "Pazifischen Feuerring" kann aber auch als Chance für die Nutzung der Tiefengeothermie begriffen werden und ist allemal sinnvoller, als sie als Bauplatz für Atomkraftwerke auszuwählen. Zur Zeit liefert Geothermie nur einen Anteil von 0,3 Prozent zum gesamten Energieverbrauch. Dabei sind die geologischen Voraussetzungen hervorragend. Die Bohrung im japanischen Hijiori liefert z.B. in 2.200 Metern Tiefe 270 Grad heißes Wasser. Zum Vergleich: Im Rheingraben, der bei uns als "besonders geeignete" Lage gilt, musste man in Soultz 5.000 Meter tief bohren, um 202 Grad heißes Wasser für ein Geothermiekraftwerk zu fördern. Bei Probebohrungen in 54 Distrikten Japans stieß man in 2.000 m auf gute Förderbedingungen mit Temperaturen zwischen 200 bis 500°C.

Bei uns ist noch nicht klar, ob das Moratorium der Laufzeitverlängerungen nur ein Wahlkampfmanöver in Hinblick auf die kommenden Landtagswahlen ist. Die Tragödie in Japan wird aber hoffentlich zu einem wirklichen Umsteuern in der Ausrichtung der Energieversorgung führen. Das Land hat das Potenzial an erneuerbaren Energiequellen und es hat in der Vergangenheit bereits gezeigt, dass es bei der Nutzung der entsprechenden Technologien weltweit an der Spitze sein kann. Voraussetzung ist allerdings, dass die japanische Energiepolitik konsequent auf die Erneuerbaren setzt und dies auch gegen Widerstände aus den überkommenden Strukturen durchsetzt.